
Ein Versorgungsschiff der US-Marine wurde im Jahr 2021 auf den Namen „USNS Harvey Milk“ getauft. Jetzt hat die Marine „die Krieger Kultur des Militärs“ wiederhergestellt und das Schiff in „USNS Oscar V. Peterson“ umbenannt – zur Erinnerung an dessen beispielhafte Tapferkeit und Loyalität im Zweiten Weltkrieg.Harvey Milk
Gedanken zum CSD 2025
Harvey Milk (1930 – 1978) diente als Offizier im Koreakrieg (1950 – 1953) – bis er eines schönen Tages 1955 offiziell zu seiner sexuellen Orientierung befragt wurde. Für seine ehrliche Antwort wurde er umgehend unehrenhaft entlassen. 22 Jahre später wurde er der erste offen schwule Beamte der Vereinigten Staaten.

Noch in New York, wo er an der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ mitarbeitete, hat die Politik ihn gepackt: „Ich wäre für mein Leben gern Bürgermeister von San Francisco.“ Bald zog er mit seinem neusten Freund nach San Francisco. 1973 eröffneten sie in der berühmt-berüchtigten Castro Street ein Fotogeschäft. Milk kandidierte erstmals für den Stadtrat – und scheiterte. Doch da trug er bereits den Spitznamen „Mayor of Castro Street“.
Denn kaum war er Beamter, stellte er seine Homosexualität laut und stolz zur Schau: „Ein Coming-out ist das politischste, was man überhaupt tun kann.“
Dank seiner enormen Popularität im Castro-Bezirk errang Milk 1977 endlich ein Mandat als Stadtrat und wurde Stellvertreter von Bürgermeister George Moscone (1929-1978). Auch Dan White (1946 – 1985), ein radikal-konservativer Vietnamveteran, Feuerwehrmann und Polizist, wurde in den Stadtrat gewählt. Der sollte bald zum Erbitterten Widersacher von Moscone und Milk werden.
Milk wusste, dass seine offene Homosexualität und sein politischer Erfolg Hass hervorriefen. Er schrieb sein Testament und prophezeite während des Wahlkampfs: „Wir werden unsere Rechte nicht einfordern können, wenn wir leise im Schrank bleiben. Wenn eine Kugel in mein Gehirn eindringt, soll sie jede Schranktür im Land zerstören.“
In mehreren Bundesstaaten – allen voran auch damals schon Florida – wurden damals Gesetze verankert, die die Rechte von LGBT-Personen massiv einschränkten. 1978 lag die landesweite Zustimmung zur Entlassung queerer Lehrkräfte bei 61 Prozent. Milk setzte mit seiner „Come out, come out“-Kampagne dagegen, worauf diese Proposition in Kalifornien scheiterte.
Dan White trat aus Protest gegen das Scheitern der Proposition zurück. Doch bald bat er Bürgermeister Moscone um Wiedereinsetzung – dieser lehnte ab. Als White erneut vorsprach, brachte er einen Revolver mit. Moscone lehnte abermals ab, eine Wiedereinsetzung war rechtlich ausgeschlossen. Aus Rage erschoss White den Bürgermeister mit vier Schüssen.
Dann ging er in das Büro von Harvey Milk und leerte das Magazin auf ihn. Danach stellte er sich freiwillig bei seiner alten Polizeidienststelle.
Twinkies sind ein widerlich süßer amerikanischer Snackklassiker – der Inbegriff von industriellem Junkfood: überzuckert, fettgetränkt und scheinbar ewig haltbar, der amerikanische Traum in der Praxis.
Die spätere Verteidigungsstrategie ging als „Twinkie-Defense“ in die amerikanische Rechtsgeschichte ein: White, ein ehemaliger Fitnessfanatiker, habe unter Depressionen gelitten, Junkfood gegessen und dadurch die Kontrolle über sein Handeln verloren. Das Gericht verurteilte ihn lediglich wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft – er verbüßte nur fünf. Zwei Jahre nach seiner Entlassung beging er Suizid.
Nach der Verkündung dieses unglaublich milden Urteils kam es zu den sogenannten „White Night Riots“: Vor dem Rathaus lieferten sich Schwule und Polizisten Straßenschlachten, die Polizei stürmte daraufhin das Castro-Viertel – damals wohl der schwulste Fleck Amerikas -, zerstörte mehrere Bars und Milks Fotogeschäft. Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen.
Harvey Milk bleibt unvergessen – als mutiger Politiker, als schwuler Aktivist, als Namensgeber etlicher Bars und Kneipen – und als Titelheld einer Oper von Stewart Wallace (1995), deren deutsche Erstaufführung 1996 am Opernhaus Dortmund stattfand. Heute trägt kein US-Kriegsschiff mehr seinen Namen, und das ist auch gut so. Denn Liebe sollte immer stärker sein als Hass.
Nur der Anlass – der offen zur Schau getragene Schwulenhass eines durchgeknallter Präsidenten und seines loyalen Kriegsministers – gibt zu denken.