Der Geheimdienst und die AfD
Eine Meinung in der Zeitschrift Cicero
Man muss die AfD weder mögen noch wählen. Aber sie hat Anspruch auf einen fairen, gleichberechtigten Wettbewerb im Wahlkampf, damit am Ende der Wähler entscheiden kann. Das ist in einer Demokratie so.
Hier ist eine kurze Zusammenfassung der Hauptpunkte der Webseite:
- AFD vor Gericht: Die Webseite diskutiert die Beobachtung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) durch den Verfassungsschutz und die damit verbundenen rechtlichen und demokratischen Fragen.
- Verfassungsschutz vs. AfD: Es wird hinterfragt, ob es angemessen ist, dass der Verfassungsschutz, ein Geheimdienst, eine legale Oppositionspartei beobachtet und welche Auswirkungen dies auf die politische Meinungsfreiheit und den fairen Wettbewerb im Wahlkampf haben könnte.
- Rechtliche Auseinandersetzung: Die Webseite beschreibt den Prozess in Münster, bei dem entschieden werden soll, ob die AfD als “Verdachtsfall” eingestuft werden darf und ob der Verfassungsschutz öffentlich darüber berichten kann.
- Demokratische Prinzipien: Es wird argumentiert, dass die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz die politische Wettbewerbsgleichheit und Meinungsfreiheit unter Druck setzt und möglicherweise nicht mit den Prinzipien einer Demokratie vereinbar ist.
Das öffentliche Interesse war groß. In der Fülle der juristischen Details gerät aber eine ganz grundsätzliche Frage in den Hintergrund. Der Verfassungsschutz, ein mächtiger Geheimdienst, beobachtet die AfD, eine völlig legale Oppositionspartei. Wie kann das in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes überhaupt möglich sein?
Der Prozess in Münster dreht sich um eine im Grunde einfache Rechtsfrage. Darf der Verfassungsschutz seine Beobachtung der AfD weiter intensivieren? Und darf – oder muss – er darüber in der Öffentlichkeit berichten, etwa im jährlichen Verfassungsschutzbericht. Das hängt von einer Voraussetzung ab, die das Bundesverfassungsschutzgesetz näher definiert. Es müssen „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass die AfD ziel- und zweckgerichtet an der Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung arbeitet. Dann wäre sie das, was der Verfassungsschutz einen „Verdachtsfall“ nennt.
Der Teufel steckt im Detail
Wie klärt man, ob eine Partei die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen will?
Im Prozess geht es darum zu entscheiden, ob sich aus dieser Masse an einzelnen Äußerungen eine verfassungsfeindliche Einstellung und Politik der AfD ableiten lässt. Dabei steckt der Teufel natürlich im Detail. Ist eine konkrete Aussage wirklich verfassungsfeindlich? Dass der Verfassungsschutz sie so bezeichnet, reicht natürlich nicht aus. Reichen einhundert Meinungsäußerungen aus? Oder müssen es mehrere tausend sein? Diese Analysen werden lange dauern. Das zumindest ist die Erkenntnis aus den ersten beiden Prozesstagen. Und es besteht die Gefahr, dass aus diesem Prozess eine absurde Farce wird.
Beobachtung der Opposition durch den Geheimdienst
In den juristischen Details geht das entscheidende Problem bisher völlig unter. Was wir beobachten, ist: Ein Geheimdienst – nichts anderes ist der Verfassungsschutz – späht eine Oppositionspartei aus. Dabei setzt er auch typische geheimdienstliche Mittel ein: V-Leute und Spitzel, Observationen, heimliche Abhöraktionen. In anderen parlamentarischen Demokratien wäre das völlig undenkbar. Natürlich brauchen auch funktionierende Demokratien einen Geheimdienst. Die Welt ist kein friedlicher Ort, und es gibt Gefahren von außen, zu deren Abwehr man Geheimdienste braucht. Aber eine Behörde, die die eigenen Bürger geheimdienstlich beobachtet? Das ist ein Instrument, das autoritäre Staaten nutzen, keine Demokratien. Demokratie lässt sich als freier Wettbewerb verstehen. Personen und Ideen, Argumente und Problemlösungen konkurrieren in öffentlichen Diskussionen und Debatten. Sie werben um die Gunst des Wählers, der am Ende eine Entscheidung trifft und dadurch die politische Macht verteilt. Dieses Modell funktioniert nur, wenn der Wettbewerb fair und gleichberechtigt ist. Je stärker der Wettbewerb der Ideen verzerrt wird, desto weniger lässt sich von echter Demokratie sprechen.
Die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes ist eine Parteiendemokratie. Das ist die grundlegende Entscheidung, die die Verfassung vor 75 Jahren getroffen hat. Politische Parteien sollen ein zentrales Instrument bei der politischen Willensbildung des Volkes sein. Sie sind deshalb wichtige, in der Praxis die entscheidenden Akteure des demokratischen Wettbewerbs. Deshalb ist die Verfassung auch in einem grundlegenden Punkt ganz klar: Der Parteienwettbewerb muss gleichberechtigt und fair sein. Dem Staat ist es streng verboten, in die Wettbewerbsfreiheit der Parteien einzugreifen und sie in seinem Sinne zu beeinflussen. Genau das tut die aktuelle Bundesregierung aber, wenn sie eine politische Partei durch den Verfassungsschutz beobachten lässt.
Eine lebendige, engagierte Debatte
Schon die Tatsache, dass eine Partei im Fokus des Geheimdienstes steht, kann die Partei stigmatisieren. Ihre Etikettierung durch eine staatliche Behörde als gesichert rechtsextremistisch kann so Auswirkungen auf die potenziellen Wähler haben. Sie aktiviert Berührungsängste bei den Bürgern. Möglicherweise schreckt sie manche Bürger davon ab, diese Partei tatsächlich zu wählen. Auch ihre Mitglieder sind betroffen. Wenn sie wissen, dass sie vom Geheimdienst beobachtet werden, schränkt das ihre Meinungsfreiheit ein. Sie müssen jedes ihrer Worte doppelt auf die Goldwaage legen. Das ist eine Bedrohung für die freie, spontane, lebendige, engagierte politische Debatte, von der eine Demokratie lebt. Die SPD-Innenministerin Faeser lässt in einem Wahljahr eine Konkurrenzpartei, die AfD, vom Inlandsgeheimdienst beobachten und als „Verdachtsfall“ und teilweise sogar als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufen. Ja, wo leben wir denn?! Das ist ein unglaublicher politischer Skandal. Und verfassungsrechtlich gesprochen verletzt dieses Verhalten die AfD in ihrem grundgesetzlich garantierten Recht auf politische Wettbewerbsgleichheit.
Meinungsfreiheit unter Druck
Das Grundgesetz garantiert die Meinungsfreiheit. Es hält sie für eine der wichtigsten Freiheiten überhaupt. Nicht zuletzt ist sie eine unverzichtbare Voraussetzung für Demokratie. Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Demokratie. Vor diesem Hintergrund ist der Verfassungsschutz extrem problematisch, nicht nur dann, wenn er eine Partei beobachtet. Ein Inlandsgeheimdienst, der die eigenen Bürger ausspäht, ist auch eine ernste Bedrohung der Meinungsfreiheit.
Bürger, denen das bewusst ist, verlieren nicht selten die innere Freiheit zu sagen, was sie denken. Es könnte ja sein, dass sie sich im Fokus des Verfassungsschutzes wiederfinden. Diese latente Furcht ist sicher ein Grund dafür, dass in immer neuen Umfragen immer mehr Bürger sagen, man könne in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung äußern. Für eine Demokratie, die von der Meinungsfreiheit lebt, ist das eine echte Gefahr.
Als gesichert rechtsextremistisch stigmatisiert
Langfristig brauchen wir eine gesellschaftliche, politische und juristische Diskussion über den Verfassungsschutz. In wenigen Wochen feiert das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag. Das kann Anlass für eine Debatte sein, ob ein Inlandsgeheimdienst verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist. So klar, wie es der Öffentlichkeit suggeriert wird, ist das keineswegs. Vieles spricht dafür, seine Kompetenzen strikt zu beschränken, ihn vielleicht sogar aufzulösen. Das wäre eine demokratisch saubere Lösung.
Genauso nötig ist auch eine kurzfristige Maßnahme. In einem so wichtige Wahljahr muss die politische Wettbewerbsgleichheit der Parteien in der Praxis ohne Wenn und Aber gewährleistet sein. Dazu gehört, dass der Verfassungsschutz die AfD in den kommenden Monaten nicht mehr beobachtet. Er müsste aufhören, die Partei durch die willkürliche und intransparente Etikettierung als gesichert rechtsextremistisch zu stigmatisieren. Das ist das Gebot der Stunde. Man muss die AfD weder mögen noch wählen. Aber sie hat Anspruch auf einen fairen, gleichberechtigten Wettbewerb im Wahlkampf. Am Ende entscheiden die Wähler. Das ist in einer echten Demokratie so.
AUTORENINFO
Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.