Boris Palmer

Die durchaus begründeten Sorgen um das eigene Wohlergehen eines immer größeren Teils der Gesellschaft und die Abwendung vieler Unternehmenslenker vom Standort Deutschland unterscheiden das Jahr 2023 vom Jahr 2015. Damals befand sich das Land im Daueraufschwung. Die Wirtschaft ließ sich durch nichts aus dem Tritt bringen, es schien so, als könnten wir uns die Aufnahme von einer Million Flüchtlingen leisten, ohne spürbare Wohlstandsverluste hinnehmen zu müssen.

Das ist nun ganz anders. Wenn wieder Wohnraum für Geflüchtete geschaffen und umgewidmet wird, protestieren immer mehr Menschen und fragen, wo sie selbst wohnen sollen. In der Stadt Tübingen, für die ich Verantwortung trage, sind alle seit 2015 im Saldo neu geschaffenen Sozialwohnungen mit Flüchtlingen belegt. Die Verzweiflung der Wohnungssuchenden, darunter besonders viele mit Migrationshintergrund, wächst.

Die Akzeptanz der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist groß. Aber die Ablehnung der nun wieder dominierenden Gruppe arabischer und afrikanischer Flüchtlinge mit einem großen Überhang junger Männer nimmt zu, weil die Ressourcen in den Kommunen erschöpft sind.

Gefühl des Sicherheitsverlustes.

Der nicht abreißende Strom der Nachrichten von Messerangriffen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei denen sich regelmäßig ein Geflüchteter als Täter ermitteln lässt, verbindet diese Entwicklung mit dem Gefühl eines gravierenden Sicherheitsverlustes, wie die viel kritisierte Polizistin Claudia Pechstein korrekt berichtet hat.

Die Freibadschlägereien sollte man auch nicht als Sommerlochproblem abtun. Sie werden von vielen Menschen als Symbol verstanden, dass uns die Lage langsam entgleitet und man sich im eigenen Land nicht mehr wohlfühlen kann, sobald man das Haus verlässt.

Wie also ließe sich der Aufstieg der AfD am besten stoppen? Ich meine, es bräuchte dafür an erster Stelle eine nationale Kraftanstrengung für unsere Wirtschaft.

Experten sehen nur einen Ausweg aus der Baukrise – den Staat.
Dazu müssten gehören: ein drastischer Abbau von Bürokratie und wirtschaftsfeindlichen Vorschriften; eine Wiederentdeckung des Leistungsprinzips an Stelle des Proporzdenkens bis in den letzten Winkel der Gesellschaft; endlich ein Deutschlandtempo beim Ausbau einer preiswerten und klimaneutralen Energieversorgung und der Digitalisierung; eine starke Antwort auf die Investitionsanreize der USA aus Europa; und die Einsicht, dass unser Bildungssystem heillos überfordert ist, soziale Probleme, Kinder von Geflüchteten und Inklusion in einer Klasse ohne Lehrer zu bearbeiten.

Es müsste wieder ein Ruck durch das Land gehen, der Hoffnung macht, dass wir es packen. Die Angst kann sich so schnell ausbreiten, weil der Eindruck dominiert, das Land ergebe sich widerstandslos seinem Schicksal.

Und was die Migrationsfrage angeht, war es noch nie so einfach, den Menschen die Ängste zu nehmen, wie heute.
Nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung hat Angst vor eingewanderten Krankenschwestern, Köchen, Altenpflegern oder Metallbauern. Diesen Menschen müssen wir die Tore öffnen.


Es ist aber in jedem Dorf und an jedem Bahnhof sichtbar, dass wir in großer Zahl Menschen bei uns aufnehmen, die keinen Beitrag zu unserer Wirtschaft leisten und keinen Asylanspruch haben. Diesen Menschen an den Außengrenzen in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzuzeigen, dass sie nicht nach Europa einwandern dürfen, ist gerecht und notwendig.

Wer den Aufstieg der AfD stoppen will, muss also dem drohenden wirtschaftlichen Niedergang unseres Landes entschieden entgegentreten und die Ordnung der Migration durch die Beschlüsse der EU zu einem gemeinsamen Asylsystem nach Kräften fördern. Die AfD bekämpft man nicht durch eine Eskalationsspirale der Beschimpfung und moralischen Abwertung, sondern durch kluge Problemlösungen.